So fing alles an
Wolfenbüttel war für das musikalische Leben schon immer von höchster Bedeutung.
Genannt seien in diesem Zusammenhang nur Praetorius, Rosenmüller, Selchius und
Schütz, die alle in der Welfenstadt gelebt und gewirkt haben. So kam es, dass sich auch
Männer gleichstehender Gesellschaftskreise im Jahre
1830 zusammenfanden und
den Männergesangverein
Wolfenbüttel
gründeten. Der
Grundsatz von damals,
der
bereits aus den ersten Statuten
hervorgeht, gilt wohl auch heute noch: Wohl nicht
zu
verkennen ist, dass der
Gesang es
ist, wodurch dem Menschen die besten Mittel an die
Hand gegeben werden sich das Leben möglichst zu erheitern
und in den
Stunden
der
Erholung sich Unterhaltung zu verschaffen.
Recht interessant ist ein Rückblick auf das Vereinsleben in den ersten Jahren: Jeden
Mittwoch um 20.15 Uhr trafen sich die eifrigen Sänger im "Hotel zum Erbprinzen"
(heute Heckners Verlag) zu ihren Übungsabenden.
Im Gegensatz zu heute waren
damals mehr
Bewerber da als
Mitglieder aufgenommen werden konnten. Wer zu
den
Auserwählten
zählte, nahm auch
gern in Kauf, ein Eintrittsgeld
von zwölf Groschen
zahlen zu müssen, man fühlte sich sogar geehrt. Der Monatsbeitrag betrug darüber
hinaus zwei Groschen; wer zum Übungsabend nicht erschien, musste eine Strafe von-
einem Groschen zahlen. Wurde in der ersten Zeit mehr die Geselligkeit als der Gesang
gepflegt, so verstand es
der Musikdirektor des Vereins sehr gut, die Pflege des
Gesangs immer mehr in den
Vordergrund zu rücken.
Die Vereinsmitglieder setzten sich aus unbescholtenen Bürgern zusammen,
die dem
Kaufmanns- und Handwerkerstand angehörten.
Die erste Sängerfahrt
führte im Jahr 1840 nach Blankenburg zur Teilnahme an einem
großen
Volks-Sängerfest. Der Männergesangverein war auch in späteren
Jahren
auf
Sängerfesten beispielsweise in Harzburg, im Okertal und in Oker vertreten. Der Verein
war immer bestrebt, mit den Brudervereinen der Nachbarstädte in freundschaftlichem Kontakt zu stehen.
Das erste Vierteljahrhundert wurde im Jahr 1855 mit einem Stiftungsfest
abgeschlos-
sen. Unter der Leitung seines Dirigenten Selmar Müller erfreute sich der Verein eines
regen Vereinslebens. Mit viel
Freude und Fleiß bereiteten sich die Mitglieder auf das
Fest, das ursprünglich
am 1. September - dem Gründungstag - stattfinden sollte,
wegen der gerade
grassierenden Cholera jedoch um einige Monate
verschoben
werden musste. Am 5. November war es dann endlich
soweit: Das Festkonzert fand
im "Goldenen Löwen" beim Gastwirt Rademacher statt.
Die Pflege der Geselligkeit
Der gelungene Verlauf dieses Stiftungsfestes war es,
der bei den Mitgliedern den
Wunsch hervorrief, öfter gesellig zusammenzutreffen. Die erste Vereins-Weihnachts-
feier mit Verlosung fand daher 1855 auch recht großen Anklang. Noch größer war der
Andrang zum ersten Maskenball im Jahre 1856. Von den Mitgliedern durfte sich keiner
von dem Fest ausschließen. Die Polizei musste vor dem Festlokal sogar absperren.
Im gleichen Jahr - 1856 - fand auch das 25jährige
Stiftungsfest der Vereinigten
Norddeutschen Liedertafeln statt, an dem der Männergesangverein als Gast teil-
nahm. Insgesamt waren 26 Bundesvereine und 27 Gastvereine erschienen.
Ein Flügel für 400 Thaler
Im Jahre 1861 wurde endlich ein lang gehegter Wunsch
der Mitglieder in die Wirklich-
keit umgesetzt: Bei der Pianofortefabrik Steinway in Braunschweig wurde ein
Flügel
bestellt und am 8. November 1861 für 400 Thaler geliefert. Die Anschaffung des
Flügels zog eine Umwälzung im Einüben der Lieder nach sich: Bisher hatte
man
nämlich nur nach der Geige geübt.
Unter der Leitung des Dirigenten August Bormann
machte der Verein gute Fort-
schritte. 1863 zählte er immerhin schon 112 Mitglieder, eine stattliche Zahl. Drei Jahre
später waren es schon 135 Mitglieder, die 1866 mit ihrem Verein dem Braunschweiger
Sängerbund beitraten.
Während der Kriegsjahre 1870/71 ruhte das
Vereinsleben, blühte danach jedoch
schnell wieder auf. Beachtliches wurde bereits im August 1872 auf dem Gesangsfest
in Clausthal geboten.
Das 50jährige Bestehen wurde natürlich groß gefeiert.
Hofkapellmeister Franz Abt
hatte eigens zu diesem Zwecke das "Weihelied" komponiert und dem Männergesang-
verein gewidmet. Zwei Tage lang dauerten die Festlichkeiten, in deren Rahmen
natürlich viel gesungen wurde.
Der Verein macht Fortschritte
Gesangliche Fortschritte machte der Verein im Jahre
1886: Zum ersten Male wurden
Orchesterstücke vor zahlreich erschienenen Zuhörern in Wolfenbüttel vorgetragen.
Reicher. Beifall veranlasste die Vereinsleitung, von da an öfter mit Orchesterstücken
an die Öffentlichkeit zu treten.
Neben zahlreichen Gesangsfesten und Konzerten kam
aber auch der Humor nicht
zu kurz. Auf Anregung mehrerer Mitglieder fand 1889 der erste humoristische Abend
statt. Sangesbruder L. Schwerdtfeger entpuppte sich als wahrer Vereinshumorist.
Die Feste feiern wie sie fallen
Das Fest der 50jährigen Fahnenweihe war noch nicht
ganz vergessen, da stand
schon das nächste vor der Tür: Das 75jährige Bestehen im Jahr 1905, das an
zwei
Tagen im Vereinslokal "Hotel zum
Löwen" gebührend gefeiert
wurde. Es folgten noch
im November des gleichen Jahres ein Vokal- und Instrumentalkonzert und ein
humoristischer Abend.
Einen Wechsel in der musikalischen Leitung brachte das
Jahr 1907. Im Mai übernahm
Alfred Bock die Stelle des Liedermeisters. Lieder mit Orchesterbegleitung wurden
neu einstudiert.
Das letzte Sommerfest vor dem Ersten Weltkrieg fand
bei herrlichem Wetter am
21. Juli 1914 in den Anlagen
des "Kaffeehauses" statt. Im Krieg trafen sich die nicht
eingezogenen Sangesbrüder regelmäßig jeden Dienstag im Vereinslokal. Feiern und
Vergnügungen wurden in den Kriegsjahren nicht veranstaltet. Bis auf drei fanden
sich nach dem Krieg alle Vereinsmitglieder wieder zusammen. Ereignisreich für den
Verein war das Jahr 1920; immerhin bestand der Verein schon 90 Jahre. Nur noch
zehn Jahre fehlten zum 100jährigen Bestehen. In diese Zeit fielen viele Konzerte und
vor allem der Beitritt zum Deutschen Sängerbund und den Vereinigten Nord-
deutschen Liedertafeln. Auf dem Programm standen weiterhin regelmäßig Sänger-
fahrten, Sommerfeste und andere
Vergnügungen.
Hundert Jahre und mehr
100jähriges Bestehen, das ist wahrlich Anlass, drei Tage lang zu feiern, was am 9., 10.
und 11. August des Jahres 1930 auch ausgiebig geschah. Es begann mit dem .
Festkonzert in .Antoinettenruh", ging am Sonntag im Lessingtheater mit einem'
Festakt weiter, in dessen Rahmen verdiente Mitglieder für 35- und 25jährige
Zugehörigkeit geehrt wurden, und endete am Montag mit einem gemeinsamen .
Frühstück.
Mit einer Rundfunkübertragung ging es 1931 gleich gut weiter: 50 Mitglieder fuhren
zur Hundertjahrfeier der Norddeutschen Liedertafel nach
Hannover.
Eine Veränderung trat im Jahre 1933 ein, als der Liedermeister Alfred Bock nach
25 Jahren sein Amt niederlegte, was seine Sangesbrüder sehr bedauerten. Zu seinem
Nachfolger wurde der Braunschweiger Domorganist Walrad Guericke gewählt.
Zwei Jahre später tat es ihm der erste Vorsitzende Franz Schlote nach. Aus
Gesund-
heitsgründen zog er sich zurück, wurde jedoch zum Ehrenvorsitzenden gewählt.
Hermann Müller wurde sein Nachfolger.
Der erste Büttenabend fand im
Februar 1937 viel
Anklang. Zum
Himmelfahrtsausflug
im gleichen Jahr waren auch die Damen gern gesehene Gäste.
An einem Wertungssingen im August 1938 nahmen
insgesamt 18 Vereine des
Kreises teil. Der Männergesangverein war im Sternhaus mit 46
Sängern vertreten.
1939 verzichtete man auf den Humoristischen Abend und
fuhr stattdessen mit Damen
in die Asse.
Der Verein im Krieg
Der Zweite Weltkrieg überschattete in den
folgenden Jahren das Vereinsleben. Der
Vorsitzende, der Liedermeister und viele Mitglieder wurden zum Heeresdienst
einberufen. Die übrigen trafen sich weiterhin regelmäßig und tauschten Kartengrüße
mit den einberufenen Sangesbrüdern aus. Bei Kriegsbeginn wurden die Singabende
eingestellt, doch .sollte auf Beschluss des Bundes mit anderen Vereinen gemeinsam
weitergesungen werden. So beschloss man, mit dem Verein für Männergesang jeden
Freitagabend zu üben. Beide Vereine gemeinsam nahmen an Konzerten und Feier-
stunden teil. Ganz eingestellt werden musste das Singen im Herbst 1943, weil es jeden
Abend Bombenangriffe gab. Nach weiteren Kriegsjahren wurde auch das Vereins-
leben des Männergesangvereins von 1830 schwer in Mitleidenschaft gezogen; erst
Anfang des Jahres 1946 wurden die Mitglieder wieder zu einer außerordentlichen
Hauptversammlung einberufen. Dem ersten Vorstand nach dem Krieg gehörten
Hans Dura als erster Vorsitzender, Richard Röbbeling als zweiter Vorsitzender,
Eduard Wilsch als Kassierer, Anton Jakobs als Schriftführer und Artur Hoßa als
Beisitzer an. Schwierigster
Punkt der Tagesordnung war die Neuwahl des Chor-
meisters. Man entschied sich schließlich für Othmar Nopp.
Es geht wieder aufwärts
1948 war die Mitgliederzahl
wieder auf 136 angestiegen.
Große Anerkennung
über
den Rahmen der Kreisstadt Wolfenbüttel hinaus fand das erste große Konzert nach Kriegsende am 30. Mai 1948, bei dem das
Symphonieorchester des Braunschweiger
Staatstheaters und zwei Solisten mitwirkten.
Den dritten Preis errang der Verein bei einem
Wertungssingen, das anlässlich des
50jährigen Bestehens des Katholischen Männergesangvereins im September 1948
stattfand.
Im darauffolgenden Jahr trat Hans Dura aus beruflichen
Gründen als erster Vor-
sitzender zurück; Adolf Ridder übernahm das Amt kommissarisch.
Jubiläen und ein neuer Flügel
Zehn Chöre halfen im Oktober 1950 mit, das
120jährige Bestehen gebührend zu feiern.
Ganz im Zeichen des 125jährigen Jubiläums stand das Jahr 1955. Die Damen führten
eine Sammlung durch, aus deren Erlös ein neuer Flügel gekauft wurde.
Personelle Änderungen gab es 1956: Otto Höfener wurde
erster Vorsitzender und
Chorleiter Othmar Nopp
hörte nach zehnjähriger Chorleitertätigkeit auf. Seinen
Posten übernahm R. Kümpfel aus Lebenstedt. Otto Höfener wurde bereits nach
zweijähriger Amtszeit als erster Vorsitzender von Albert Röbbeling abgelöst.
Eine große Ehrung wurde dem Männergesangverein 1959
durch das Kultur-
ministerium zuteil: In der Hochschule für Musik in Hannover wurde dem Verein am
17. Oktober die lang erwartete Zelterplakette überreicht.
1300 Sänger trafen sich im Mai 1960 in Wolfenbüttel.
Anlass hierfür war das Kreis-
sängerfest, das mit einem Festkonzert im .Antoinettenruh" begann. Nachmittags
zogen alle Teilnehmer im Rahmen eines Festzuges durch die Stadt.
Das folgende Jahr - 1961 - begann mit einem
Chorleiterwechsel: Karl Rüßmann
übernahm den Chor. Als
er sich Ende Juni 1964
verabschiedete, konnte Othmar Nopp
als neuer alter Chorleiter gewonnen werden.
Begegnungen mit Hermann Grothe
Die Anwesenheit von Hermann Grothe, dessen Lieder der
Chor bei einem Konzert
im März 1966 in der Aula der Großen Schule zu Gehör brachte, fand außerordentlichen
Anklang. Eine ganz besondere Freude war es für die Sänger, unter seiner Stab-
führung singen zu dürfen. Auch bei der Einweihung der TilI-Eulenspiegel-Plakette im
darauffolgenden Jahr ließ es sich Hermann Grothe nicht nehmen zuzuhören, als der.
Männergesangverein sein Lied vom lustigen Till sang.
Für eine besondere Leistung wurden bei der
Jahreshauptversammlung im Januar
1971 die Sangesbrüder Herbert Herbst und Wilhelm Löloff ausgezeichnet: Ersterer
hatte innerhalb von zehn Jahren, der zweite innerhalb von fünf Jahren an keinem
einzigen Übungsabend gefehlt.
Othmar Nopp trat im Oktober 1973 als Dirigent
zurück. Vorsitzender Albert Röbbeling
dankte ihm für seine hervorragende Arbeit mit dem Chor. Der neue Leiter Horst
Hilgner gab sein Debüt am Totensonntag in der Trinitatiskirche. Einige Male zeigte
der Chor sein gesangliches Können während der ersten Altstadtwoche 1975.
Bestechend war die Harmonie zwischen dem Männergesangverein und dem Frauen-
chor .Harrnonia" Ahlum.
Seinen ersten Fernsehauftritt hatte der MGVam
27. April
1976, und zwar mit dem Lied
"Die lust'gen Braunschweiger" in der Sendung .Fünfländer-Maqazin" im dritten
Programm.
Eine große Überraschung brachte im Januar 1977 die
Jahreshauptversammlung
mit sich: Der erste Vorsitzende Albert Röbbeling stellte sich nach 19 Jahren nicht mehr
zur Wahl. Friedrich August Teichmann wurde sein Nachfolger. Ein Jahr später legte
Chorleiter Horst Hilgner sein sechs Jahre lang ausgeübtes Amt aus beruflichen
Gründen nieder. In der zehnten
Singstunde übernahm Wilhelm Batram die musi-
kalische Leitung des Chores. Er hat dieses Amt auch heute noch inne.
Das Jahr 1979 stand schon ganz im Zeichen der Vorbereitung für· die 150-Jahr-Feier des Vereins. Bei den Übungsabenden wurde fleißig
neues Liedqut einstudiert, um bei
dem großen Jubiläumskonzert damit glänzen zu können.
150 Jahre Männergesangverein von 1830, eine lange
Zeit gemeinsamen Singens!
Bleibt dem Verein zu wünschen, dass er noch recht lange Freude am Singen und an
der Geselligkeit, die - wie man gesehen hat - ja auch nie zu kurz gekommen ist.